30|10|15 bis 01|11|15   ERRATISCHE BLÖCKE oder VERIRRTE FINDLINGE   200 Jahre schwedische Übergabe von Loitz

ERRATISCHE BLÖCKE« heißt die erste Ausstellung des Kunstvereins KÜNSTLER GUT LOITZ E.V. oder - wie man auch sagen könnte -  »VERIRRTE FINDLINGE«.

 

Die Bedeutung dieser Worte bezieht sich auf die immerwährende und wieder sehr aktuelle Frage nach Herkunft und Heimat, nach Vertreibung und Flucht, nach Besetzung, Fremdherrschaft und Identität. Diese Frage wurde auch vor 200 Jahren im Zuge des Wiener Kongresses bei der Neuaufteilung der europäischen Grenzen gestellt.  Dabei ereignete sich die Übergabe von Schwedisch-Pommern – und damit auch von Loitz – an Preußen. Die in und um Loitz zu findenden großen Findlinge, die aus Schweden nach Pommern gespült wurden, können als treffende Symbole für diesen Kontext betrachtet werden.

 

In der Ausstellung »ERRATISCHE BLÖCKE« entwickeln acht Künstler und Künstlerinnen Sinn-Bilder, die das Spektrum dieser Loitzer Übergabe vor 200 Jahren ausleuchten in einer Begegnung von Zeugnissen aus der Loitzer Schwedenzeit bis 1815 und ihrer heutigen Situation. In den Fokus der Betrachtung geraten das Loitzer Schloss und die Loitzer Häuser, die mit den aus dem Schloss verwendeten Steinen eine eigene Metamorphose enthalten, aber auch die über 200 Jahre alten Baumbestände oder der geschichtsträchtige Peene-Übergang mit der inhaltsreichen Bedeutung von Brücke im Allgemeinen und der Loitzer Brücke im Besonderen. Des Weiteren zeigt die Ausstellung Bilder und Skulpturen von historischen Macht-Figuren und deren Übergabe in den ästhetischen Raum. Die Objekt-Installationen ergreifen das Problem von Orientierungsverlust in unbekannten Konstellationen, und Licht-Projektionen lassen den Anspruch von Gebiet in Luft-Bildern der schwedischen Kartographien von Loitz erscheinen, die sich dem Zugriff und der Besitzergreifung entziehen: sie zeigen sich als ästhetisches Phänomen.

 

(Barbara Camilla Tucholski)


WYMAN BRENT, Your Land Is My Land

Das aus Alltagsgegenständen erzeugte Kunstwerk (Ob-jet trouvé ) »Your Land Is My Land« des Amerikaners Wyman Brent thematisiert das Verhältnis von Geschichte und Alltag. Es besteht aus den fünf Teilen »Your Land Is My Land« (zwei Koffer mit Schutt und Erde sowie verschiedenen (Landes-) Fähnchen), »Make War Not Love« (Kiste mit kaputter Puppe und Messer), »Hinter Schwedischen Gardinen« (Tisch mit zerbrochenem Geschirr, sauberen Servietten und zwei Gardinen im Hintergrund) und den kaum bearbeiteten Ready-mades »Riding My Way« (Schaukelpferd an Abschleppseil und Ziegelstein) und »Schlüssel Zum Königreich« (Schublade mit Schlüsselabdrücken). Brents Arbeit der »gefundenen Objekte« steht in der Tradition von Marcel Duchamp und Joseph Beuys.

(Andrea Oberheiden-Brent)

 

-->wymanbrent.com


NIKOLA DICKE, Karte und Gebiet

In Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq setzt sich Nikola Dicke in ihrer Arbeit »Karte und Gebiet« mit der Loitzer Kartografiegeschichte auseinander. Auf der Basis einer schwedischen Kartenanfertigung von Loitz aus dem Jahre 1697 sind vier Zeichnungen in Ruß und Glasfarbe auf Glas entstanden, welche die Künstlerin anschließend an entsprechender Stelle auf die dort heute zu findenden Fassaden projizierte. 

Bei Ausstellungseröffnung werden vier Fotografien, die bei dieser Lichtinstallation entstanden sind, als hinter Acrylglas versiegelte Fotos (Diasec) in der Größe 45 x 30 cm zu sehen sein. Während der Ausstellungseröffnung projiziert die Künstlerin die vier Zeichnungen abwechselnd auf die Fassade des ehemaligen Konsum als Ausstellungsort und setzt mit ihrer zeichnerischen raum- und lichtbezogenen Arbeit Gegenwart und Vergangenheit des Ortes Loitz in eine faszinierende, visuelle Beziehung zueinander. (Andrea Oberheiden-Brent)

 

-->nikoladicke.de


BARBARA CAMILLA TUCHOLSKI, Schloss meiner Erinnerungen

Als Schloss ihrer Erinnerungen bezeichnet Barbara Tucholski ihr Geburtshaus, das sie mit ihrer Familie 1953 in Richtung Westen verließ, als sie fünfeinhalb Jahre alt war. Seit 1989 setzt sich die Künstlerin innerhalb der Malerei, Zeichnung und Installation mit diesem Haus ihrer frühen Kindheit auseinander, welches aus dem Ende des 18. Jahrhundert stammt und damit als ein Zeuge aus der schwedischen Zeit von Loitz anzusehen ist. Die vielfältigen Durchdringungen von physischem und imaginiertem Raum kommt bei Tucholskis Inszenierung in ihrem Geburtshaus immer wieder wie in einer Echokammer zum Ausdruck.

(Ludwig Seyfarth)

 

-->galeriewernerklein.de/

-->sfeir-semler.com


CLEMENS BOTHO GOLDBACH, Tuere

Die Arbeiten von Clemens Botho Goldbach sind in der Regel für den jeweiligen Ausstellungsort konzipiert und werden in situ realisiert. Für die Planung und Realisierung verwendet er meist gefundenes, gesammeltes und/oder historisches Material, seien es vorhandene architektonische Elemente, Naturgegenstände oder Konstruktionsmaterialien. Bei der Arbeit TUERE handelt es sich um ein gefundenes architektonisches Element, welches Clemens B. Goldbach bei der Transformation des ehemaligen »Konsums« in den Ausstellungsraum PEENETRANS im Rahmen der Kernsanierung freigelegt hat und nun als ready made ausstellt.

Türen / Durchgänge können Zeichen für Offenheit sein - Türen können verschlossen sein und abweisend wirken. Eine offene Tür mit einer zugemauerten Öffnung ist im ehemaligen »Konsum« in Loitz eine Baumaßnahme gewesen - sie ist aber auch ein Bild - vielleicht sogar ein Mahnmal welches sicherlich auch an die Zeit der schwedischen Besatzung in Loitz erinnern kann: An Fremdherrschaft, Enteignung, Plünderung.

Doch auch 2015, 200 Jahre nach deren Ende ist die zugemauerte Öffnung noch ein Zeichen, denn Flucht, Vertreibung, Ausgrenzung, Abschottung und die Angst vor Fremden sind auch 200 Jahre nach der Neuaufteilung der europäischen Grenzen heute immer noch erschreckend aktuell, wie die Medien täglich berichten - weltweit - in Europa und auch in Loitz.

(Clemens Botho Goldbach)

 

-->cbgoldbach.de


CARSTEN GUST, Erratische Blöcke – Erratische Köppe

Während der 185jährigen schwedischen Regierungsgewalt in Vorpommern von 1630 bis 1815 waren in dieser Region 20 schwedische Legaten als sogenannte Statthalter stationiert. Diese äußerst machtbewußten Männer ließen sich auf unterschiedlichste Art und in unterschiedlichster Qualität von zeitgenössischen Künstlern porträtieren, die heute im Internet zu finden sind. In der Auseinandersetzung mit den virtuellen Porträts überführt der Künstler die digitalen Bilddokumente in dreidimensionale, konkret anschau- und anfassbare Objekte, in 20 lebensgroße Köpfe aus Ton, die sich in dem Spannungsverhältnis von einzelner Individualität und gemeinsamen Scherbenhaufen zeigen.

Die Malereien zeigen die historischen Gesichter in dem Auf- und Abtauchen innerhalb der farblich oszillierenden Spurenverläufe und sich überlagernder  Farbschichten  - ein Erscheinen und Vergehen in Raum und Zeit.

Loitzer Sammelsur

Während der Internetrecherchen zum Thema »Erratische Blöcke« fielen Fotos, Zeichnungen und Ausdrucke an, die sich mit der Geschichte Vorpommerns und der Stadt Loitz bis in die Gegenwart beschäftigen. Mit einem sowohl durch das Internet vermittelten, räumlich distanzierten als auch durch einen subjektiven Blick auf Loitz transformieren sich die digitalen Bilddokumente in fassbare Tonobjekte, die in dem Verfahren des zufälligen Zusammenwürfelns an das ehemals in Pommern oft zubereitete saure Gericht »Sammelsur« aus gesammelten Speiseresten erinnern können.

(Barbara Camilla Tucholski)


MONIKA SCHULZE, Die Brücke

Seit jeher gilt die Brücke als ein Sinnbild für den Übergang von einer Seite auf die andere, sowohl in topographischer als auch in existentiell-symbolischer Bedeutung. Darüber hinaus haben Brücken strategische Funktion, wie auch in Loitz, wo die Peene lange Zeit der Grenzfluss zwischen Schweden und Preußen war.

Für Monika Schulze war die Loitzer Peenebrücke 2010 - kurz bevor diese älteste von Hand betrieben Drehbrücke Europas dem Abriss übergeben wurde - ein somit aktuelles Motiv ihrer zeichnerischen Umsetzung.  Mit ihrer sowohl sensiblen als auch kämpferischen, teilweise fast grabender Strichführung nähert sich die Zeichnerin in immer neuen Variationen und Entwürfen dem zentralen Thema grundlegender Grenzerfahrung.

(Barbara Camilla Tucholski)


MARTINA STEIN, Swedock Holmes

Wir schreiben das Jahr 1815. Der Wiener Kongress beschließt, Loitz wird preußisch. 200 Jahre ziehen ins Land. Im Jahr 2015 stellt sich die Frage: Gibt es noch Relikte aus dieser Zeit? Dinge, die heute noch zeigen, dass Loitz einmal schwedisch war?

Dies könnte ein Auftrag für Swedock Holmes sein. Wird er die Aufgabe als interessant genug erachten und bei der Aufklärung behilflich sein? Seht selbst. Seid gespannt...

(Martina Stein)


IMKE FREIBERG, Loitzer Lieblingsplatz II

Das Loitzer Schloss steht nicht mehr. Seine Steine sind aber in vielen Häusern der Stadt verbaut. In gewisser Weise existiert das Schloss noch weiter als Sehnsuchtsort. 2012 hat Imke Freiberg die Loitzer Bürgerinnen und Bürger, vor allem die Loitzer Kinder gebeten, ihr ihren Lieblingsplatz zu nennen und hat dann ihre Bilder, Zeichnungen, Fotos und Statements auf Platten von aussortierten Loitzer Möbelteilen montiert. Aus diesen Platten hat die Künstlerin das Loitzer Schloss in den Maßen von ca. 150 x 75 x 70 cm in seiner architektonischen Grundform nachgebaut. Das Loitzer Schloss als imaginärer Sehnsuchtsort und gleichzeitig erratischem Block aus Loitzer Sperrmüll.

(Imke Freiberg)